Kolchis und der Kaukasus

von Hermann Sauter


Herodot behauptet, auf einer Reise ins Schwarzmeergebiet bis nach Kolchis gefahren und somit bis zum Südrand des Kaukasus gelangt zu sein. Daß Herodot dort war, scheint sich zunächst aus der Behauptung ableiten zu lassen, daß er die Ähnlichkeit zwischen den Kolchern und den Ägyptern, die er auf die Abstammung der Kolcher von ägyptischen Soldaten des Pharaos Sesostris zurückführt, selbst bemerkt habe, bevor ihn jemand anderes darauf aufmerksam gemacht habe (Hdt. II 104,1) 225. Zwar könnte Herodot Kolcher auch in Athen angetroffen haben (vgl. Cecchladze 1990), aber er gibt explizit an, daß er in Kolchis selbst entsprechende Erkundigungen eingezogen habe (Hdt. II 104,2). Detaillierte Analysen herodotischer Aussagen, welche eine Autopsie bestimmter Weltgegenden behaupten, können allerdings ernsthafte Zweifel aufkommen lassen, ob derartigen Bemerkungen des Herodot immer getraut werden kann (vgl. Armayor 1980; 1985). Dies trifft auch für den Fall der erwähnten Ähnlichkeit zwischen Kolchern und Ägyptern zu, die erst durch eigene Anschauung entdeckt worden sei. In seiner vierten pythischen Ode, die im Jahr 462 v.Chr. zum ersten Mal aufgeführt worden ist, bezeichnet beispielsweise auch Pindar die Kolcher als dunkelhäutige Menschen (Pind. Pyth. IV 212). Herodot mußte also nicht nach Kolchis reisen, um von einer - zumindest von ihm behaupteten - dunklen Hautfarbe seiner Bewohner Kenntnis zu erlangen. Allerdings ist zu prüfen, ob die Kolcher wirklich dunkelhäutig waren.
Die frühesten bekannten Darstellungen von dunkelhäutigen Menschen auf attischen Vasenbildern - es handelt sich um an der Seite der Trojaner kämpfende Aithiopier - stammen aus der Zeit des Exekias (Raeck 1981, 169), dessen Hauptschaffenszeit etwa in das dritte Viertel des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts fällt (Boardman 1977, 62-64). Daß sich in Darstellungen von Schwarzen in der griechischen Vasenmalerei auch Ägypter identifizieren lassen (Raeck 1981, 176), läßt darauf schließen, daß von diesen ebenfalls eine dunkle Hautfarbe angenommen wurde 226.
Die Angaben Herodots zum Land Kolchis beschränken sich auf wenige Informationen: So betrage die Entfernung von der Maiotis zum in Kolchis gelegenen Fluß Phasis 30 Tagesreisen (Hdt. I 104,1), und Aia, das sagenhafte Ziel der Fahrt der Argonauten, soll in Kolchis gelegen haben (Hdt. I 2,2). Diese Erwähnung von Aia bietet aber eine Möglichkeit, die herodotischen Beschreibungen dunkelhäutiger Kolcher zu erklären. Weil sich in Aia die Stadt des Aietes befindet, wo der Sonnengott in einem Gemach seine Strahlen aufbewahrt, verbanden sich mit diesem Mythos die Vorstellungen von den von der Sonne verbrannten Aithiopiern 227. Mit der Identifizierung von Aia im Land Kolchis gingen diese Vorstellungen auf die Kolcher als Bewohner des Landes über, und somit erklärt sich die Beschreibung der Kolcher durch Pindar als dunkelhäutig auch aus diesem Umstand. Folglich kann das von Herodot als Beweis seiner Schwarzmeerreise angeführte Argument der Ähnlichkeit zwischen Kolchern und Ägyptern 228 eher dazu dienen, seine Behauptung eines eigenen Aufenthalts in Kolchis als Lügenmärchen zu erkennen, als daß sie zu deren Bestätigung dient 229. Die den Kolchern nachgesagte Dunkelhäutigkeit wird zudem nicht von allen Kennern der Länder an den Schwarzmeerküsten bestätigt. In der hippokratischen Schrift "Über Winde, Wasser und Ortslagen" werden die Anwohner des Phasis sogar als mit bleicher Haut wie bei den Gelbsüchtigen geschildert (Hippokr. aër. XV 20-24).
Als Grenze zwischen Europa und Asien im Bereich zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gibt Herodot mit dem Tanais und dem Phasis zwei Flüsse zur Auswahl. Es fällt auf, daß der Tanais, der heutige Don, deutlich nördlich des Kaukasus zu finden ist, während der Phasis, der heutige Rion, südlich dieses Gebirges verläuft. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Wahl eines der Flüsse als jeweilige Grenzlinie davon abhängig war, aus welcher Richtung der Betrachter sich dieser Grenze näherte. Ein aus Europa von Westen bzw. Nordwesten kommender Reisende könnte den Tanais bzw. eine von den "kimmerischen Hafenplätzen" landeinwärts führende Linie als Grenze Europas aufgefaßt haben, während jemand, der sich aus Asien von Süden dem Kaukasus näherte, wohl den Phasis als Grenze Asiens betrachtete. Das damit jeweils hinter dieser Grenze liegende Gebirge scheint sich dabei der Kenntnis der Betrachter gleichsam entzogen zu haben. So beschreibt Herodot den Kaukasus als eine sich an der Westseite des Kaspischen Meeres hinziehende Bergkette, die ihm zwar als das ausgedehnteste und höchstragende Gebirge bekannt ist (Hdt. I 203,1), von der er aber ansonsten nur berichten kann, daß dieses Gebirge von "vielen verschiedenartigen Volksstämmen, die fast ganz von wilden Früchten leben", bewohnt sei (Hdt. I 203,2). Zwar spricht auch Herodot an keiner Stelle den Gedanken direkt aus, den Kaukasus als Trennlinie zwischen den Erdteilen anzusehen, aber aus der von ihm geschilderten persischen Sicht scheint der Kaukasus durchaus eine klare "politische" Grenze bedeutet zu haben, weil das persische Reich bis zu den Kolchern und deren Nachbarn am Kaukasus gereicht haben soll, während die Völker nördlich des Gebirges 230 unbehelligt blieben (Hdt. III 97,4).
Auch Herodot selbst kann, wenigstens auf dem Landweg, über Kolchis in Richtung Norden nicht hinausgekommen sein. Er gibt nämlich an, daß die fliehenden Kimmerier immer am Ufer des Pontos entlang nach Süden gezogen seien (Hdt. IV 12,3). Wäre ihm dieses Gebiet aber wirklich bekannt gewesen, so hätte er bemerken müssen, daß die nach seiner Ansicht von den Kimmeriern bei ihrem Einfall nach Asien genommene Route geographisch unmöglich ist. Am Schwarzen Meer entlang oder auch in dessen direkter Nachbarschaft im westlichen Kaukasus gibt es überhaupt keine für größere Heereszüge oder Nomadenhorden passierbare Straße (Minns 1913, 41; Lehmann-Haupt 1921, 398; Fritz 1967, 129) 231. Dies war wohl auch der Hauptgrund, warum der Römer Pompeius im Laufe des dritten Mithradatischen Krieges darauf verzichtete, den über den Kaukasus in das Bosporanische Reich flüchtenden pontischen König zu verfolgen (vgl. Dreher 1996, bes. 200). Mithradates selbst reiste zwar entlang der Küste, allerdings mit wenigen Begleitern, und legte zudem einen Teil der Strecke zu Schiff zurück (Gajdukevic 1971, 319). Die von Herodot aufgestellte Behauptung, daß die Entfernung von der Maiotis bis zum Phasis und dem Land der Kolcher für einen rüstigen Wanderer 30 Tage 232 betrage (Hdt. I 104,1), bezieht sich zweifellos nur auf einzelne Reisende und kleinere Gruppen 233.

225
Die Beschreibung des Herodot der Kolcher als "dunkelfarbig und wollhaarig" findet ihre Entsprechung in derjenigen der sogenannten libyschen Aithiopier (vgl. Hdt. VII 70).
226
Eine Bemerkung des Herodot anläßlich seines Berichts über das Zeus-Orakel in Dodona läßt vermuten, daß zumindest dieser sich die Ägypter als dunkelhäutig vorstellte: Die Erzählung von einer schwarzen Taube deutet er als Anspielung auf eine Ägypterin als Begründerin des Orakels (Hdt. II 57). Wenig überzeugend ist aber die Ansicht von W.W. How und J. Wells, daß die "zahlreichen Negersklaven, die Herodot in den Straßen von Memphis" gesehen habe, die Vorstellung Herodots von schwarzen Ägyptern geprägt habe (How u. Wells 1957, 218). Eher ist daran zu denken, daß Herodot aithiopische Soldaten im Heer des Sesostris vermutet, da seiner Meinung nach Sesostris der einzige ägyptische König war, der auch Aithiopien beherrschte (Hdt. II 110).
227
Vgl. hierzu Kap. "7.2.3.3 Aia und Kolchis".

228
Die Vorstellung einer Abstammung der Kolcher von den Ägyptern war zwar verbreitet (Diodor. I 55,5; Val. Fl. V 415-421; Dion. Periheg. 689; Amm. Marc. XXII 8,24), aber diese scheinbaren Bestätigungen der Behauptung des Herodot erweisen sich, zumindest wenn eine Begründung dieser Ansicht gegeben wird, anhand der nahezu wörtlichen Wiederholung der herodotischen Argumentation von diesem direkt abhängig. Auch bei Strabon findet sich ein Hinweis auf die Verwandtschaft zwischen den Kolchern und den Ägyptern, jedoch wiederholt Strabon nur das auch von Herodot benutzte Argument der ähnlichen Leinenfabrikation, ohne auf die angebliche Dunkelhäutigkeit der Kolcher einzugehen (Strab. XI 2,17).
229
Der von P.T. English unternommene Versuch, die herodotische These von dunkelhäutigen Kolchern mit der Existenz von Schwarzen in Abchasien nahe bei Suchumi zu belegen (English 1959), ist abwegig. Deren Erklärung durch den Sklavenhandel in Osmanischer Zeit ist durchaus plausibel.
230
An gleicher Stelle berichtet Herodot von diesen Völkern, daß sie sich selbst eine freiwillige Steuer auferlegt hätten, die sie alle vier Jahre dem persischen König geschickt hätten. Auffällig ist, daß Herodot keine Namen der Völker nennt und er in seiner Beschreibung Skythiens, die auch die nördlich des Kaukasus befindlichen Gebiete streift, keinerlei Andeutungen über diese Völker macht. Dabei nennt Herodot als östlich an die Skythen anschließende Völker klar Sauromaten (Hdt. IV 21) und Sinder (Hdt. IV 28,1). Somit scheint die Angabe, daß selbst die Völker jenseits der Grenzen des persischen Reiches Tribute gezahlt hätten, eher auf persische Propaganda zurückzugehen, die Herodot hier wiederholt.
231
Die von U.L. Dietz als Beleg für einen Hauptverkehrsweg entlang der Schwarzmeerküste angeführte Darstellung der Wanderungen der Io durch Aischylos dürfte wohl kaum als ernstzunehmende Reiseroute gewertet werden (vgl. Dietz 1998, 5.6 Anm. 7).
232
Folgt man Herodots Auskunft, die einen Tagesmarsch mit durchschnittlich 150 Stadien angibt (Hdt. V 53), so müßte die Entfernung von der Maiotis bis zum Phasis mit 4.500 Stadien angenommen werden, was rund 830 Kilometern entsprechen würde. Zur Berechnung der Stadienlänge vgl. die Bemerkungen von Dicks 1960, 43. Zu beachten ist allerdings, daß Herodot damit keine Entfernungsmaße im eigentlichen Sinne angibt, sondern "Wegzeitmaße". Die in einer bestimmten Zeit zurücklegbare Entfernung ist dabei stark von der Art der Strecke abhängig und somit sind derartige Angaben des Herodot kaum mit modernen Karten und den darauf ablesbaren Entfernungen - also Luftlinie - zu überprüfen. Zudem gibt Herodot an anderer Stelle einen Tagesmarsch mit 200 Stadien an (Hdt. IV 101,4).
233
Auch die karthagische Alpenüberquerung unter Hannibal wird nicht als solche als außergewöhnliche Leistung angesehen. Das besondere dieses Zugs über die Alpen bestand eben in dem Umstand, daß ein ganzes Heer, zumal mit umfangreicher Reiterei, mit einem enormen Bedarf an Vorräten aller Art dieses Wagnis unternahm. Hannibal bedurfte hierbei großer rhetorischer Anstrengungen zur Motivation seiner Truppen (vgl. Liv. XXI 30).

Diodoros kannte mehrere, sich in ihrem Inhalt stark unterscheidende Erzählungen über die Fahrt der Argonauten, deren wesentlichster Unterschied im auf der Rückreise gewählten Weg bestand (Diod. IV 44,5-6; IV 56,1; vgl. Strab. I 2,39). Herodot gibt die zu seiner Zeit sicherlich gängige Meinung wieder, daß die Fahrt der Argo zum im Land Kolchis gelegenen Aia und an den Fluß Phasis geführt habe (Hdt. I 2,2; VII 193). Das entscheidende Problem bei der Lokalisierung des Fahrtziels in der Südostecke des Schwarzen Meeres hat sich daraus ergeben, daß eine starke Tradition existiert haben muß, die den Argonauten auf ihrem Rückweg eine andere Fahrtroute vorschrieb als auf dem Hinweg und die von den Dichtern der Argonautenepen nicht ignoriert werden konnte. Bekanntermaßen aber ist die durch Hellespont und Bosporos führende Wasserstraße die einzige Möglichkeit, um mit dem Schiff von der Ägäis aus ins Schwarze Meer zu gelangen 439.
Einige Angaben zum Land Aia als Ziel der Fahrt des Iason und seiner Gefährten finden sich in einem Fragment aus Mimnermos' "Nanno" (Mimn. Frg. 11; vgl. Strab. I 3,40): In Aia befindet sich die Stadt des Aietes, wo am Ufer des Okeanos der Sonnengott Helios in einem Gemach seine Strahlen aufbewahrt. Für Strabon ist klar, daß diese Auskunft des Mimnermos auf eine Lokalisierung von Aia im "Morgenlande", also im Osten, hinweist (Strab. I 3,40). Aber die Lage von Aia am Okeanos allein deutet auf keine bestimmte Himmelsrichtung hin 440. Die Lokalisierung von Aia am Ufer des Okeanos ermöglichte es indes den Dichtern von Argonautenepen, die Rückreise der Argonauten - unabhängig von einer genaueren geographischen Einordnung - über diesen Ringstrom erfolgen zu lassen.
Mimnermos' Angaben zum "Tagesablauf" des Sonnengottes liefern freilich weitere "geographisch" auswertbare Informationen (Mimn. Frg. 10): Am Ort des Sonnenuntergangs angekommen, besteigt Helios seinen goldenen Sonnenbecher, der den schlafenden Gott auf dem Okeanos wieder zurück in das Land der Aithiopier bringt, wo sein Gespann bereits wieder auf ihn wartet. Durch eine Kombination beider Fragmente scheint sich als Ergebnis die Aussage erzielen zu lassen, daß die Heimat der Aithiopier und die im Land Aia liegende Stadt des Aietes von Mimnermos zumindest am gleichen Ende der vom Okeanos begrenzten Erde gedacht sein müßten (so Lesky 1948, 28). In der Ilias sind die Aithiopier zwar auch am Okeanos zu finden (Hom. Il. I 423.424; XXIII 205-207), aber in der Odyssee sind sie zudem als "zweigeteilt" an gegenüberliegenden Enden der Erde lokalisiert: Sowohl am Aufgangs- als auch am Untergangsort der Sonne (Hom. Od. I 22-24) 441. Diese Mitteilung spricht aber gegen die Annahme, daß die Aithiopier "nach altem Glauben" nur im fernen Osten vermutet wurden und erst "frühe ionische Spekulation" den östlichen Aithiopiern ebensolche im Westen beifügte (so Lesky 1948, 28). Wenn man sich die Aithiopier indes als auf beiden Seiten der Erde angesiedelt vorstellte, können der Palast und die Stadt des Aietes im Land von Aithiopiern stehen, ohne daß damit der ebenfalls bei Aithiopiern wartende Sonnenwagen am gleichen Ende der Welt stehen muß.
Untersuchungen der entfernteren Teile Asiens erfolgten nach der Aussage des Herodot erst während der Herrschaftszeit des Dareios (Hdt. IV 44,1), und somit dürften auch den Ioniern kaum wesentlich vor Hekataios gesicherte Kenntnisse über die östlichsten Bereiche der Oikumene zur Verfügung gestanden haben 442. Auch die Kenntnisse über die Inder 443, die "alle die gleiche Farbe, nämlich dieselbe wie die Aithiopier" hätten (Hdt. III 101,1; vgl. dazu III 104,2), werden erst nach der persischen Eroberung Ioniens in der Mitte des sechsten Jahrhunderts v.Chr. an die kleinasiatische Westküste gedrungen sein. Die Erwähnung von "Aithiopiern des Ostens", die sich "den Indern angeschlossen" hätten (Hdt. VII 70,1), belegen das Fortleben "homerischer" Vorstellungen von den "zweigeteilten" Aithiopiern im neuen ethnographischen Weltbild der Ionier, denn die "eigentlichen" Aithiopier 444, die durch ihre Langlebigkeit gekennzeichnet sind, werden inzwischen am Südrand Libyens 445 lokalisiert (Hdt. III 17-23.114).
Bei den Griechen, die tatsächlich bis in den äußersten Osten des Schwarzen Meeres vordrangen, muß sich die Erkenntnis durchgesetzt haben, daß dort keine "homerischen" Aithiopier zu finden waren. Wenn aber die Beschreibung des Herodot der Bewohner des als Aia identifizierten Kolchis am Phasis als dunkelfarbig und wollhaarig (Hdt. II 104,3) deutlich zeigt, daß er sich in diesem Fall von seinen Vorstellungen von den südlichen Aithiopiern leiten ließ (vgl. Hdt. VII 70,2), so ist dies - entgegen der eigentlichen Absicht Herodots - ein überzeugender Beweis dafür, daß dieser sicherlich nie selbst in Kolchis war. Vielmehr hat Herodot hier versucht, eine auf der Analyse griechischer Mythen beruhende Vermutung - nämlich die Dunkelhäutigkeit der Kolcher als Folge ihrer Nähe zur aufgehenden Sonne - als Beweis für seine Autopsie des östlichen Schwarzmeergebietes zu benutzen.
Die erste Erwähnung von "Kolchis" findet sich in Fragmenten der "Korinthiaka" des Eumelos von Korinth 446, der die Erzählung von den Argonauten in seinem Werk mit korinthischen Traditionen verband (Will 1955, 85-129; Allen 1993, 90). Als Ziel der Argonautenfahrt scheint Kolchis somit einer zunächst korinthischen Variante dieses Epos zu entstammen.
Die frühesten epigraphischen Zeugnisse mit dem Namen "Kolchos" finden sich auf zwei in Athen gefundenen schwarzfigurigen Gefäßen, einer Hydria und einer Amphore, die in die Mitte des sechsten Jahrhunderts v.Chr. datiert werden können (Boardman 1974, 12; Cecchladze 1990, 152). Diese "Meisternamen ethnischer Form" wurden häufig als Beleg für die Herkunft der Handwerker gedeutet (Kretschmer 1894, 75.76). Aus dem Apollontempel von Didyma stammt eine ebenfalls in das sechste vorchristliche Jahrhundert datierte, dunkelgraue Bodenscherbe einer Schale, auf deren Innenseite ein höchstwahrscheinlich zu "Kolch[os]" zu ergänzendes Graffito eingeritzt ist (vgl. Naumann u. Tuchelt 1964, 57 Taf. 25,1). G.R. Cecchladze wies darauf hin, daß die Namen "Kolchis" und "Kolchoi" als Bezeichnung des Landes und des dort lebenden Volkes zumindest in georgischen Schriftquellen nicht bezeugt sind und folgerte daraus, daß nur die Griechen das westliche Georgien und seine Bewohner Kolchis bzw. Kolcher genannt hätten. Zur Bekräftigung dieser These führte er zusätzlich an, daß "Kolchis" als Eigenname in fast allen bekannten Fällen sogar sicher griechischen Personen zuzuweisen sei (Cecchladze 1990, 153-156).
Nun finden sich aber in den Annalen des urartäischen Königs Sarduri II. für die Mitte des achten vorchristlichen Jahrhunderts Hinweise auf Feldzüge in ein nördlich von Urartu gelegenes und Qulcha genanntes Land (König 1955-57, Nr. 103 § 3 III); es liegt nahe, in diesem Land Qulcha der Urartäer das Land Kolchis der Griechen zu identifizieren (Salvini 1995, 70.71; vgl. Haas 1978, 243).
Zu Beginn der milesischen Kolonisation muß die pontische Region der Inbegriff nordöstlicher Ferne und Unwirtlichkeit gewesen sein (Focke 1951, 584). Dadurch, daß vom Ziel der Argonauten, dem inzwischen mit Aia gleichgesetzten Kolchis, eine östliche bzw. nordöstliche Lage angenommen wurde, folgten die Milesier bei ihren Fahrten in den Pontos Axeinos gleichsam den Spuren der Argonauten. Auch das unfreundliche Meer 447 erschien sicher weniger schrecklich, wenn man den Spuren dieser Heroen folgen konnte (Burn 1960, 116). So wurden längs der Schwarzmeerküste Kleinasiens bis zu dessen östlichem Ufer die mit der Argonautensage verbundenen Orte lokalisiert, wobei die neuen Gründungen den begreiflichen Wunsch hatten, die Geschichte ihrer Städte mit diesem berühmten Abenteuer zu verbinden 448, was zu Erweiterungen des ursprünglichen Epos geführt hat. Wenn sich in diesen "pontischen Argonautika" wahrhaftig die milesische Erkundung des Schwarzen Meeres widerspiegeln sollte (Merkelbach 1951, 201; Dowden 1979, 302), so kann man den Dichter, der die Fahrt erstmals eindeutig in das Schwarze Meer verlegte und dessen Erzählung sicher eine der Vorlagen des Apollonios Rhodios und auch aller späteren Argonautika gewesen sein muß, in Milet oder zumindest in Ionien 449 vermuten (Radermacher 1938, 217; Ehrhardt 1983, 228; 1990, 20). Als milesische Kolonisten 450 ein Land im östlichsten Winkel des Schwarzen Meeres erreicht hatten, mußten sie also in diesem das Land Aia der ihnen bekannten Argonautensage identifizieren. Eventuell führte die einheimische Bezeichnung Qulcha zur Prägung des griechischen Namens Kolchis für diese Landschaft, wobei möglicherweise der Milesier Hekataios zur weiten Verbreitung dieser Ansicht beitrug (vgl. Lipka 1995, 66 Anm. 7.8). Somit erscheinen die Bearbeitung und die Verbreitung des Argonautenepos durch Ionier geradezu als Aufruf zu einer "Eroberungsfahrt" in ein Land, dessen Reichtum 451 den Griechen durch die Nennung des ehemals in Kolchis aufbewahrten "Goldenen Vlieses" sprichwörtlich erschienen sein muß (Lordkipanidse 1991, 128). In der modernen Forschung aber scheint sich - außer bei den Georgiern (vgl. Lordkipanidse 1996, 353) - die Erkenntnis durchzusetzen, daß das Land Aia keinen Platz in der realen Geographie hat, sondern vielmehr zu den zahlreichen Orten an den Rändern der Erde gehört, die in das Reich der Phantasie gehören (so Tsetskhladze 1994, 114).

439
Die Argonauten sollen die Symplegaden - das berichtet Homer bei der Erwähnung der Argo in der Odyssee - aber auf ihrem Rückweg von Aietes passiert haben (Hom. Od. XII 69-72).
440
Aia heißt bei Homer die Insel der Kirke, der als Ort des Sonnenaufgangs (Hom. Od. XII 3.4) östliche Lage zuzuweisen ist. Daß Kirke eine Schwester des Aietes ist (Hes. theog. 956-958), kann aber kaum als Indiz für geographische Nähe ausgewertet werden. Die Namensgleicheit und die gemeinsame Lokalisierung am bzw. in der Nähe des Okeanos soll eher auf beider Abstammung von Helios und Perse, einer Tochter des Okeanos, hinweisen (Hom. Od. X 135-139).
441
Der Namen "Aithiopes" = "Brandgesichter" oder "Menschen mit (sonnen)verbranntem Gesicht" läßt sich mit dieser Nähe zur Sonne erklären, die ihre Haut verbrannt haben soll.
442
Die frühesten in Kolchis nachweisbaren griechischen Importe stammen aus archaischer Zeit, in etwa also von der Wende vom siebten zum sechsten Jahrhundert v.Chr. (vgl. Kacharava 1995). Zu bedenken ist aber, daß die Anwesenheit von griechischer Keramik nicht automatisch auf die Anwesenheit von Griechen zu schließen erlaubt.
443
Herodot glaubt, daß die Inder von Osten, also vom Aufgang der Sonne her gesehen, das erste Volk Asiens seien (Hdt. III 98,2).
444
S. Tohtasjev stellt dies geradezu auf den Kopf, indem er von den Aithiopiern berichtet, daß sie im Epos ein mythisches Volk waren, das bereits nicht mehr im Süden, sondern im äußersten Osten lebte (Tohtasjev 1996, 45).
445
Aischylos war vermutlich der erste Grieche, der Aithiopier durch die Nennung des Nils nachweislich in Afrika lokalisierte (Aischyl. Prom. 807-812). Jedoch läßt die Erwähnung von Greifen und Arimaspen unmittelbar vor diesem Bericht über das Land am Nil (Aischyl. Prom. 805.806) daran zweifeln, ob Aischylos damit geographische und ethnographische Kenntnisse demonstrieren wollte.
446
Die zeitliche Einordnung des Eumelos von Korinth ist problematisch. Clemens von Alexandria berichtet beispielsweise nur, daß Eumelos früher als Archilochos gelebt habe und ein Zeitgenosse des Archias, des Gründers von Korinth, gewesen sei (Clem. Strom. I 131,8). Die Datierungen des Eumelos durch neuzeitliche Forscher schwanken zwischen dem späten achten (Seeliger 1884-1886, 532; Roebuck 1959, 117) und dem frühen siebten vorchristlichen Jahrhundert (Dihle 1970, 154).
447
Zum Wandel des Pontos Axeinos zum Pontos Euxeinos vgl. Kap. "5.2.1 Zur Benennung des Pontos Euxeinos".

448
Spuren sollen die Argonauten sowohl an den Küsten des Schwarzen Meeres (Strab. I 2,39) als auch in Großgriechenland hinterlassen haben (Strab. I 2,10).
449
An Bord der Argo befanden sich nach der Überlieferung der Argonautika des Apollonios Rhodios insgesamt fünf Steuermänner, von denen zwei - nämlich der Milesier Erginos und der Ancaios von Samos - aus Ionien stammten (Apoll. Rhod. I 185-189; II 864-898). Eventuell läßt sich diese Vielzahl der Navigatoren mit dem nachträglichen Zufügen von Personen zur Unterstreichung der Wichtigkeit bestimmter Stadtstaaten für die Erkundung fremder Regionen erklären (vgl. Vian 1982, 278).
450
Die in Kolchis gelegene Stadt Phasis ist zwar bei Stephanos von Byzanz als milesische Kolonie bezeugt (Steph. Byz. 661,1; vgl. Mela I 108), aber über den Zeitpunkt und den Charakter dieser Gründung bestehen in der Forschung unterschiedliche Meinungen (vgl. Ehrhardt 1984).
451
Strabon gibt den Gold-, Silber- und Erzreichtum explizit als Grund für den Argonautenzug an (Strab.
I 2,39).


Quelle
Hermann Sauter Studien zum Kimmerierproblem (Dissertation), Kapitel 4.4.1.2

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