Kulturgeographie der Spätbronze- und Eisenzeit im Nord- und Westkaukasus

Kulturgeographie der Spätbronze- und Eisenzeit im Nord- und Westkaukasus

 Von Dr. des. Sabine Reinhold, Institut für Prähistorische Archäologie, Freie Universität Berlin

 Die Spätbronze- und Eisenzeit in Kaukasien ist eine Zeit der kulturellen Blüte. Reich ausgestattete Grabfunde, Metalldeponierungen, Siedlungen und Produktionswerkstätten geben Auskunft über die Lebenswelt der prähistorischen Gruppen nördlich und südlich der Hochgebirgskette des Großen Kaukasus.

In der russischen Forschung wird dieser Kulturraum traditionell der Koban Kultur im Norden und der Kolchis Kultur im Südwesten zugewiesen. Beide Kulturen sind einander sehr ähnlich und wurden in der Forschung auch lange als ein zusammengehöriger Kulturraum angesehen. Er stand neben einem zweiten, vergleichbaren Kulturraum in Ost- und Südgeorgien, Armenien und Azerbeidžan. Nach einer Periode der Differenzierung der spätbronze- und eisenzeitlichen Kulturen in kleinere territoriale Einheiten, wie sie seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor allem durch Forscherpersönlichkeiten wie E.I. Krupnov, V.I. Kozenkova, D. Koridze oder T. Mikeladze vertreten wurden, setzt sich in jüngere Zeit langsam wieder die Einsicht durch, dass die verschiedenen Regionalgruppen im Nord- und Westkaukasus doch Teil eines größeren Ganzen sind.

 

Unterschiedliche archäologische Phänomene erlauben es im Analogieschluss zu primordialen Gesellschaften lokale Identitäten und überregionale Kommunikationsstrukturen zu erschließen, die Grundlage von solchen archäologischen Kulturen oder Kulturräumen sein können. Die Verbreitung von (Grab)Trachten, Begräbnissitten und bestimmten Formen der materiellen Kultur geben Hinweise auf regionale kulturelle Spezifika und lokale Identitäten. Die Ethnographie weist die Wahrnehmbarkeit solcher Identitäten und die scharfe Grenzziehung zu benachbarten Gruppen als besondere Charakteristika von Bevölkerungen aus, die in Gebirgsregionen siedeln. Entsprechende Grenzen finden sich auch im archäologischen Material des Kaukasus immer wieder. Dennoch existieren parallel dazu Elemente, die mehreren Gruppen gemein sind, die als Exporte, Kultur- oder Materialtransfer zu werten sind. Methodisch stellt sich demzufolge die Frage, auf welcher Ebene man die archäologischen Kulturen dieser Region definieren soll, wo ihre Territorialgrenzen zu ziehen sind und wo überregionale Kommunikationsstrukturen beginnen.

 

Als zweiter Schwerpunkt soll mit diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis die Gruppen der vorskythischen Epoche zum Schwarzmeerraum standen. Zu nahezu allen Zeiten existieren Kontakte in die Räume nördlich des Schwarzen Meeres. In der Eisenzeit sind es hauptsächlich die immer wieder mit reiternomadischen Kimmeriern in Verbindung gebrachten Prunkwaffen und Pferdeschirrungen, die solche Kontakte belegen. Sie finden sich zwischen Kaukasus und Karpatenbecken in nahezu identischer Form wieder und wurden lange Zeit als Hinweise auf die Raubzüge dieser Reiternomaden gedeutet. Andere Autoren sehen in ihnen hingegen Zeichen einer lang anhaltenden, gegenseitigen kulturellen Beeinflussung, in der kaukasische Reiterkrieger langsam zum militärischen Vorbild der nordpontischen und osteuropäischen Eliten wurden. Aus kaukasischer Perspektive zeigt sich, dass die Objekte in der Tat Elemente eines Austauschsystems zwischen den lokalen Regionalgruppen im nordkaukasischen Vorgebirge waren, in die auch weitere Regionen in der eurasischen Steppen- und Waldsteppenzone eingebunden waren. Diesem Austauschsystem steht ein anderes gegenüber, das die Gruppen im Hochgebirge und im westlichen Transkaukasien verbindet. Auch dieses System ist in den pontischen Raum eingebunden, wie etwa der Hortfund von Ordu oder die vermutlich kolchische Keramik an der Südküste des Schwarzen Meeres zeigen. Zu fragen wird sein, in wie weit der Schwarzmeerraum jenseits des östlichen Teilabschnitts, der durch das kaukasische Gebirge eingenommen wird, Impulsgeber oder Impulsnehmer war, und auf welcher Ebene die kulturellen Kontakte stattfanden.

 
Einführende Literatur in Deutsch/Englisch

Sergej L. Dudarev/Jakov B. Berezin. Neue präskythische Funde aus der Umgebung von Pjatigorsk, Nordkaukasien. Eurasia Antiqua 5, 1999, 177-209.

Olga R. Dubovskaja, Zur ethnischen und kulturellen Einordnung der 'Novočerkassk-Gruppe'. Eurasia Antiqua 3, 1997, 277-327.

Georg Kossack, Tli Grab 85. Bemerkungen zum Beginn des skythenzeitlichen Formenkreises im Kaukasus. Beitr. zur Allg. und Vergl. Arch. 5, 1983, 89-177.

Georg Kossack, Neufunde aus dem Novočerkassker Formenkreis und ihre Bedeutung für die Geschichte steppenbezogener Reitervölker der späten Bronzezeit. Il Mare Nero 1, 1994,19-54.

Valtenina I. Kozenkova, Seržen'-Jurt. Ein Friedhof der späten Bronze- und frühen Eisenzeit im Nordostkaukasus (Mainz 1992).

Carola Metzner-Nebelsick, Kimmerier. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 16 (Berlin/New York 2000) 504-523.

Ingo Motzenbäcker, Sammlung Kossnierska. der Digorische Formenkreis der kaukasischen Bronzezeit (Berlin 1996).

Sabine Reinhold, Traditions in transition: some thoughts on late Bronze Age and early Iron Age burial costumes from the Northern Caucasus. European Journal of Archaeology 6/1, 2003, 25-54.

Biba, Teržan. Das Land der Medeia? In: Uwe Finkbeiner/Rainer Dittman/Harald Hauptmann (Hrsg.), Beiträge zur Kulturgeschichte Vorderasiens (Festschrift R. M. Böhmer) (Mainz 1995) 627-637.

V. B Vinogradov/Sergej L. Dudarev. Spätbronzezeitliche Gräberfelder bei Majrtup in Čečenien. Eurasia Antiqua 6, 2000, 361-403.

 

Einführende Literatur in Russisch

Sergej L. Dudarev, Vzaimootnošenija plemen Severnogo Kavkaza s kočevnikami Jugo-Vostočnoj Evropy v predskifskuju epochy (IX – pervaja polovina VII v. do n.e.) (Armavir 1999).

Valentina I. Kozenkova, Chronologija kobanskoj kul’tury: dostiženija, opyt utochenija, nerešennye problemy. Sovetskaja Archeologija 1990, 4, 64-92.

Valentina I. Kozenkova, Kul’turno-istoričeskie processy na Severnom Kavkaze v ëpochu pozdnej bronzy i v rannem železnom veke (Uzlovye problemy proischoždenija i razvitnaja kobanskoj kul’tury (Moskau 1996).

Bagrat V. Techov, Tlijskij mogil’nik 1-3 (Tbilisi 1980-1985).

 
Theorie und Methodik

Fredkik Barth, Introduction. In: Fredrik Barth (Hrsg.), Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organisation of Cultural Difference (Oslo/London 1969) 9-38.

Stefan Burmeister, Zum sozialen Gebrauch von Tracht. Aussagemöglichkeiten hinsichtlich des Nachweises von Migrationen. Ethn. Arch. Zeitschr. 38, 1997, 177-203.

Mats Burström, Reconstructing the spatial extension of ancient societies: a Scandinavian Viking Age example. Archaeologia Polona 34, 1996, 165-181.

Hermann Kreutzmann, Ethnizität im Entwicklungsprozeß. Die Wakhi in Hochasien (Berlin 1996).

Günter Smolla, Analogien und ihre Grenzen. In: Urgeschichte als Kulturanthropologie (Festschrift Karl J. Narr I) Saeculum 41, 1990, 326-221.

Ulrike Sommer, Materielle Kultur und Ethnizität - eine sinnlose Fragestellung? In: Spuren und Botschaften: Interpretation materieller Kultur (Münster/New York/München/Berlin 2003) 205-224.

Jörg Stadelbauer, Bergnomaden und Yaylabauern in Kaukasien. Zur demographischen Entwicklung und zum sozioökonomischen Wandel bei ethnischen Gruppen mit nicht-stationärer Tierhaltung. Paideuma 30, 1984, 201-225.

J.C. Watkins, Spirited Women. Gender, Religion, and Cultural Identity in the Nepal Himalaya (New York 1996).

M. Wobst, Stylistic behaviour and information exchange: In: Ch. E. Cleveland(Hrsg.), For the director: Research Essays in honour of James B. Griffin (Ann Arbor 1977) 317-342.

Alison Wylie, The Reaction against Analogy. In: M.B. Schiffer (Hrsg.), Advances in archaeological method and theory 8, 1985, 63-111.


http://www.blacksea-archaeology.org/de/lectures/archiv/mai_2004.html

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